„Der Bund“ vom 4.Oktober 2018

 

Klee zum Sehen und Hören

Neun Schweizer Komponisten haben sich von Werken Paul Klees zu experimentellen Tonschöpfungen inspirieren lassen.

Entstanden in düsterer Lebensphase: Paul Klee, «über Wasser» (1933), Pinsel auf Papier auf Karton. Bild: Hermann-und-Margrit-Rupf-Stiftung, Kunstmuseum Bern

Marianne Mühlemann ABO+04.10.2018

 

Es gibt Menschen, die sehen Farben, wenn sie Musik hören. Die Berner Komponistengruppe L’art pour l’Aar zeigt, dass es auch umgekehrt funktioniert: Sie bringt ausgewählte Werke des Berner Malers Paul Klee zum Tönen. Warum gerade Klee, weshalb nicht Hodler, Gertsch oder Surbek?

Die Antwort liegt auf der Hand. Klee fühlte sich zur Musik, dieser flüchtigsten aller Künste, besonders hingezogen. Sie soll gar der Grund dafür gewesen sein, dass der gebürtige Münchenbuchseer (1879–1940) unter dem Dilemma aller Vielbegabten litt. Klee wurde Kunstmaler. Aber eigentlich hätte er genauso gut den Beruf des Musikers ergreifen können.

Als Gymnasiast schrieb er 1897 in sein Tagebuch: «Je länger, je mehr ängstigt mich meine wachsende Liebe zur Musik. Ich begreife mich nicht. Ich spiele Bach – Solosonaten, was ist dagegen Böcklin?» Und auch während des Kunststudiums in München, wo er die deutsche Pianistin Lily Stumpf (seine spätere Ehefrau) kennen lernte, hörten seine Zweifel nicht auf. «Es ist doch verflucht, wenn man heiratet, während dem man eine andere liebt!», schrieb er, «Jawohl, so ist’s. Meine Geliebte ist und war die Musik, und die ölriechende Pinselgattin umarme ich bloss, weil sie eben meine Frau ist.»

 

 

Spezialisten für Neues

 

Klee hätte wohl seine Freude an der Idee gehabt: Neun zeitgenössische Komponisten haben eine ganz persönliche Auswahl Zeichnungen und Bilder in Klänge verwandelt. Versammelt sind sie auf dem Tonträger «Klee-Impressionen», eingespielt vom Leipziger Ensemble Sortisatio. Seine aussergewöhnliche Besetzung war für die neun Komponisten (eine Komponistin ist leider nicht dabei) eine Bedingung.

Grossartig, wie die Instrumente da menschliche Züge erhalten.

 

Walter Klingner (Oboe/Englischhorn), Axel Andrae (Fagott), Matthias Sannemüller (Viola) und Thomas Blumenthal (Gitarre) haben sich als Interpreten für Neue Musik profiliert, und sie kennen sich mit Klee-Stücken bestens aus: Bereits 2002 hat das experimentierfreudige Ensemble eine CD mit Miniaturen auf Werke von Paul Klee eingespielt, damals mit der schweizerisch-österreichischen Komponistengruppe Groupe Lacroix. Mittlerweile ist die Zahl der Klee-Kompositionen für das Ensemble auf über zwanzig angestiegen.

Biografisch unterlegt

So wie die Bilder mehr zeigen, als man sieht, so gibt es in den Vertonungen mehr zu hören, als da erklingt. Jean-Luc Darbellay (geb. 1946) zum Beispiel, der sich als Klee-Kenner und Initiant zahlreicher musikalischer Klee-Projekte einen Namen gemacht hat, spürt im Stück «über Wasser» (1933) nicht nur den Linien und Farbwolken der gleichnamigen Malerei nach, sondern webt sachkundig auch biografische Aspekte aus Klees bewegtem Leben mit hinein. Das muss man wissen, das Bild entstand in einer extrem schwierigen Phase. Mit der Machtergreifung Hitlers verlor Klee seinen Job als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. Er liess alles zurück, floh in die Schweiz. Es rieche nach Leichen konstatierte er und pinselte über dem graugrünen Wasser eine schwarze Sonne und eine schemenhafte Engelsfigur. Die hastig geführten Linien wirken kontrolliert, fahl und skeletthaft.

Darbellay seziert Klees stummes Leiden und baut aus den Einzelteilen ein unheimliches Psychogramm. Tonlose Klappen- und mürbe Klopfgeräusche werden zu Zeichen von Klees Ohnmacht, atemlose Tonlinien zum Symbol seiner wachsenden Verzweiflung. Erst gegen Schluss erhält die Musik etwas Boden. Man vernimmt melodische Motive und lauscht einem Liegeton, der sich als Horizontlinie dehnt; sie ist auch eine Grenze, die Gut und Böse scheidet. Und unter der leise neue Hoffnung keimt.

Anders als Darbellay bezieht sich der Berner Organist und Komponist Hans Eugen Frischknecht (geb. 1939) nicht auf ein einzelnes Werk Klees, sondern auf eine Reihe kleiner Formate, die aus Einzelstrichen oder Farbtupfern bestehen. Frischknecht findet dafür lakonische Entsprechungen: Spröde, zerbrechliche Tontexturen setzt er Hell-Dunkel-Kontrasten und Leerräumen entgegen. Immer wieder blitzt sein feiner Humor auf. Etwa hier: Zum Bild «zwei mal zwei, draufgängerisch» komponiert Frischknecht einen sich steigernden Wettstreit. Grossartig, wie die Instrumente da menschliche Züge erhalten. Einer macht etwas vor, der andere macht es nach. Aber lauter, tiefer, wilder. Worauf ersterer angestachelt wird, noch eine Spur zuzulegen. Das mitreissende kompositorische Vexierbild erinnert etwas an «Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich», eine bitterböse Zeichnung Klees aus dem Jahr 1903.

 

In 51 Sekunden alles gesagt

Das Ensemble Sortisatio spitzt zu, schattiert, schärft die Tempi. So bleiben auch Kürzeststücke im Gedächtnis. Wie die zweisätzige Metamorphose «Zeichensammlung südlich» des Japaners Satoshi Tanaka, deren erster Teil 51 Sekunden dauert. Zu den weiteren Stücken (von Thomas Christoph Heyde, Markus Hofer, Max E. Keller, Stephen König, Cheung Wai Hui und Pierre-André Bovey) sind im informativen Booklet (Texte Christoph Sramek), Werkbeschreibungen zu finden. Auch Klees Aquarelle und Zeichnungen sind abgebildet, auf die sich die Kompositionen beziehen. Das ermöglicht spannende Vergleiche zwischen den musikalisch-bildnerischen Gestaltungsprozessen.

CD: «Klee-Impressionen – Musik und polyphone Bilder». Ensemble Sortisatio Leipzig. Musikverlag Müller & Schade, Bern 2018. (Der Bund)

 


 

Schweizerische Musikzeitung vom April 2018

Neun Komponisten lassen sich von Paul Klee inspirieren 
Geheimnisvolle Botschaften

Walter Kläy, 27.03.2018

Paul Klees starke Beziehung zur Musik ist bekannt. Bis heute regen seine Bilder Komponisten zu neuen Werken an, wie diese CD des Leipziger Ensembles Sortisatio zeigt.

Das Leipziger Ensembles Sortisatio tritt in ungewöhnlicher Besetzung auf: Oboe/Englischhorn (Walter Klingner), Fagott (Axel Andrae), Viola (Matthias Sannemüller) und Gitarre (Thomas Blumenthal). Neun Komponisten aus der Schweiz, Hongkong, Japan und Deutschland haben für das Ensemble von Klee inspirierte Werke geschrieben.

Spiritus Rector dieser Produktion ist Jean-Luc Darbellay. Sein Beitrag über Wasser (Bild 1933/Komposition 2012/2016) bezieht sich auf das gleichnamige Bild, das Klee nach seiner Flucht vor den Nazis in die Schweiz malte. Die Verunsicherung zeigt sich in Klopfgeräuschen und suchenden Tonbewegungen. Nach einem zarten Lamento der beiden Bläser deutet die Gitarre mit schlichten Tönen Resignation und Beruhigung an.

Von der punktuellen Struktur des Buchstaben-Bildes Anfang eines Gedichtes (1938/2011) geht Pierre-André Bovey aus. Klee erinnert damit an ein Lied aus Bachs Klavierbüchlein der Anna-Magdalena. Am Schluss intoniert die Viola eine Phrase aus dem Lied.

Hans Eugen Frischknecht hat seinen sieben Klee-Impressionen (2008) Titel gegeben, die an die zeichnerischen Miniaturen und witzig-ironischen Bildtitel des Malers anknüpfen. Frischknecht gewinnt der Spannung zwischen Fläche und Linie überraschend-geheimnisvolle Momente ab.

Max E. Keller interpretiert das Aquarell wie Kraut und Rüben (1932/2008) analog zum Bild konsequent pointilistisch. In zahlreichen feinsten Abstufungen von Klangfarben, Dynamik und Artikulation wird Klees Werk sichtbar.

Zum Bild Engel, noch weiblich (1939/2011) kombiniert Markus Hofer einen eigens dazu geschriebenen Text von Lea Gottheil: an euyridike. Mehrklänge, perkussive Geräusche, Flatterzunge, tonloses Streichen auf dem Steg, Glissandi usw. evozieren eine melodramatische Atmosphäre, die in einen nachdenklichen, tontal-harmonischen Schluss mündet.

Auch Thomas Christoph Heyde verwendet zum Aquarell trauernd (1934/2010/11) tonale Mittel in Verbindung mit Geräuschen (weisses Rauschen eines Radios, Klangschale, Kratzgeräusche der Viola) und erreicht einen nachklingenden Eindruck.

Mit spielerischen Mitteln hat Stephan König Klees Aquarell Wasserpyramiden (1924/2015) in vier Sätzen umgesetzt – eine unterhaltsame, sogar tänzerische Interpretation des Bildes.

Eine überzeugende Adaption des Aquarells Zeichensammlung südlich (1924/2014) ist dem Japaner Satoshi Tanaka mit minimalsten, aber starken und wirkungsvollen Klangmitteln gelungen.

Die zeichnerische und gedankliche Beschäftigung Klees mit Buddhismus und Taoismus inspirierte Cheung Wang Huo zur faszinierenden Komposition Floss (2009) ohne direkten Bild-Bezug, dafür aufgrund eines buddhistischen Gleichnisses.

Das hervorragende Booklet von Christoph Sramek umfasst sowohl Werkkommentare wie auch die erwähnten Klee-Bilder.

 

 

Abschied mit KLEE-Impressionen

Das Ensemble Sortisation Leipzig mit Musik und „polyphone“ Bilder auf neuer CD

– ein Projekt von Musikern aus Bern und Leipzig

 

Gleich zwei große Überraschungen gab es zum Festkonzert anlässlich des 25. Geburtstags des Ensembles Sortisatio am 27. Oktober 2017 im Saal des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Einerseits kündigten die zumeist hier beheimateten Instrumentalisten durch ihre faszinierende Werkauswahl eine attraktive, zweite CD mit Musik zum Schaffen des weltberühmten avantgardistischen Malers und Grafikers Paul Klee an. Und zum anderen kam eher verhalten die fast unglaubliche Nachricht: Da der Ensemblegründer und vorrangige Initiator der zahlreichen Konzerte im In- und Ausland den wohlverdienten Ruhestand erreicht, beenden die Musiker in absehbarer Zeit ihre Zusammenarbeit.

Diese Mitteilung war für viele Begeisterte der zeitgenössischen Musik nahezu schockierend, hatten doch die Interpreten in der Stammbesetzung mit Walter Klingner (Oboe/Englischhorn), Axel Andrae (Fagott), Matthias Sannemüller (Viola) und Thomas Blumenthal (Gitarre) gerade in den Leipziger Rathauskonzerten, in Veranstaltungen des Sächsischen Musikbunds, des Forums für zeitgenössische Musik Leipzig sowie zu den Hallischen Musiktagen im mittelsäschischen Raum unüberhörbare Akzente gesetzt. Die meisterlichen Aufführungen etwa der Werke von John Cage, Peteris Vasks und Christian Wolff, aber auch von Reiner Bredemeyer, Thomas Buchholz, Gerd Domhardt, Christian Münch, Günter Neubert, Steffen Schleiermacher und Karl Ottomar Treibmann bleiben in bester Erinnerung. Darüber hinaus wirkten die Interpreten vorrangig in der Schweiz mit Konzerten in Bern, Blonay, Lausanne, Luzern und Winthertur sowie im benachbarten Liechtenstein.

Die entscheidenden Anstöße für diese rund zwei Jahrzehnte währende länderübergreifende Ausstrahlung des Leipziger Ensembles sind dem Schweizer Komponisten, Dirigenten und Arzt Jean-Luc Darbellay zu verdanken. Er lenkte das Interesse auf Paul Klee, der in Bern aufwuchs und hier nach existenzbedrohenden Angriffen des Hitlerregimes ab Ende 1933 Schutz fand.  Paul Klee gilt als ein bildender Künstler mit größter Anziehungskraft auf Komponisten, offenbar weil die Tonsetzer spüren, dass seine genialen Gestaltungsweisen auch mit seiner besonderen Verbindung zur Musik zu tun haben: Er stammte aus einem höchst musikalischen Elternhaus, spielte selbst ausgezeichnet Violine, teilte seine Liebe zur Musik mit seiner als Pianistin tätgigen Ehefrau und gibt bis heute Denkanstöße durch musiktheoretische Recherchen während seiner Bauhaus-Meisterzeit.

Jean-Luc Darbellay fiel es deshalb nicht schwer, rund 20 Komponisten vor allem der österreichisch-schweizerischen Komponistenvereinigung Groupe Lacroix sowie der Berner Künstlergruppe l’art pour l’Aar dazu anzuregen, sich in ihrem Schaffen von Bildern Paul Klees sowie der seltenen Besetzung der Leipziger Interpreten inspirieren zu lassen. Diese fantasievollen Werke mit ihren beiden jetzt vorliegenden qualitätvollen Einspielungen stoßen auch bei Interessenten der bildenden Kunst auf großes Interesse. Außerdem regen sie die Kunstwissenschaften an, dem höchst originellen Miteinander von bildkünstlerischen und musikalisch intendierten Gestaltungsprozessen bei Paul Klee mit neuen Ideen nachzugehen.

Die vom Ensemble Sortisatio im März 2018 erstmals in der Münchner Galerie Thomas, im Paul Klee Zentrum Bern sowie im Kunstmuseum Winthertur vorgestellte CD, die in Zusammenarbeit mit l’art pour l’Aar entstand, wurde hauptsächlich von Tonmeister Christian Cerny im Leipziger Saal des Mitteldeutschen Rundfunks produziert und im Berner Musikverlag Müller & Schade herausgebracht. Sie vereint Stücke von fünf namhaften Komponisten aus der Schweiz, zwei Leipziger Autoren sowie zwei Tonsetzern aus dem Fernen Osten.

Beim ersten Hören überrascht eine gewisse stilistische Ähnlichkeit der Werke trotz ihrer ganz unterschiedlichen Herkunft. Jeweils höchst feinsinnige Klanglichkeit paart sich mit einer empfindsamen Melodik und zumeist zurückgenommener Metrik, sodass Schwebezustände entstehen, die Verwandtschaften mit den Kleeschen Aussagen zum Ausdruck bringen, aber auch der Spezifik des Miteinanders dieser jeweils zwei Holzblasinstrument und der zwei Saiteninstrumente entsprechen. Wer sich etwa vom Musikalischen her der Transzendenz nicht nur der Engelsgestalten Klees zu nähern versucht, wird gerade in der merk-würdigen Klang-Balance zwischen der Gitarre und den drei üblichen Konzertinstrumenten kongeniale Voraussetzungen entdecken, um überraschende Einblicke in die künstlerische Welt Paul Klees zu gewinnen und sich gleichzeitig die ganz eigenen Dimensionen der Komponisten zu erschließen.

Dieses unverkennbar individuelle Herangehen an Klee zeigt sich zudem in der Werkauswahl und in den eigenen Erklärungen der Komponisten, die neben den entsprechenden Bildvorlagen im Booklet zu finden sind. Daraus ergibt sich ein kleiner, überaus reizender, aufschlussreicher Katalog von schöpferischen musikalischen Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst: Hans-Eugen Frischknecht bezieht sich mit seinen Klee-Impressionen nicht auf ein bestimmtes Bild, sondern reflektiert innerhalb von sieben kurzen Stücken seine vielfältigen Empfindungen bei der Betrachtung von Zeichnungen im kleineren Format. Max E. Keller hingegen reagiert auf Klees wie KRAUT und RÜBEN mit einem analog wirkenden musikalischen Pointilismus, der sogar im Notenbild seinen Niederschlag findet und damit in eine frappierende Nähe zur musikalischen Grafik führt. Der japanische Komponist Satoshi Tanaka geht in Zeichensammlung südlich ebenfalls von Strukturen Paul Klees aus, verwandelt aber den Bildkontrast unterschiedlicher Farb- und Helligkeitsgrade in eine Gegenüberstellung von zwei Sätzen, um den Stimmungen des Bildes eine eigene Betrachtungsweise zu verleihen.

Einen anderen, stärker programmatisch ausgerichteten Zugang wählen demgegenüber die folgenden Komponisten: Stephan König aus Leipzig verbindet mit dem paradox anmutenden Bild Wasserpÿramiden eigene Eindrücke des Nahen Ostens und greift dabei zu ägyptischen Skalen und Metren, die seine kompositorische Handschrift bereichern. Pierre-Adré Bovey hingegen greift in der Beschäftigung mit Klees Anfang eines Gedichtes auf dessen verstecktes Liedzitat von Johann Sebastian Bach zurück und lässt im variativen Spiel auch Anklänge an den Text des Liedes aufscheinen. Markus Hofer geht mit Engel, noch weiblich sogar einen ganz eigenen Schritt zur Literatur, indem er seinen Bild-Assoziationen einen für dieses Werk geschaffenen Text der Dichterin Lea Gottheil hinzufügt und reflektiert. Dieser Text wird dann melodramatisch zur Musik vorgetragen, sodass der Gedanke an ein beabsichtigtes „Gesamtkunstwerk“ aufkommen kann.

Der Leipziger Thomas Christoph Heyde erinnert sich an die eigene Kindheit und einen Besuch in der Neuen Nationalgalerie Berlin, um das ihn besonders berührende Bild trauernd mit einer eigenen Aura zu erfassen. Das gelingt ihm nicht zuletzt durch Hinzufügung von sphärischen Momenten einer Klangschale sowie von radioartigem Rauschen im Hintergrund. Einen gewissermaßen umgekehrten biografischen Bezugspunkt zu Paul Klee nutzt Cheung Wai Hui. Der in Hong Kong lebende Künstler kennt das Interesse Paul Klees am Fernen Osten bis hin zur Auseinandersetzung mit Taosimus und Zen-Buddhismus. Und diese Tatsache nimmt er zum Anlass, in seinem Werk Floss und einer damit verbundenen Lebensweisheit Buddhas eine Klang-Brücke zu Paul Klee zu schlagen.

Schließlich runden sich mit Jean-Luc Darbellays über Wasser die hier zu bewundernden Möglichkeiten. Als hervorragender Kenner von Paul Klee bezieht er sich schon durch die Bildauswahl bewusst auf strukturelle und programmatisch-biografische Aspekte in Klees Schaffen. Darbellay erinnert mit erschütternden Klängen an die entsetzlichen Angriffe gegen Klee als „entarteter Künstler“ im nationalsozialistischen Deutschland und leitet die Musik über eine kleine Elegie zu Empfindungen der Hoffnung, die Klee mit seinem Rückzug in die Schweiz verband.

Christoph Sramek

 


 

 

2013 - Der Bund

Von Marianne Mühlemann. Aktualisiert am 25.09.2013

L’ Art pour l’ Aar 2010/2011

CD-Box (4 CDs), Musikverlag Müller & Schade 2013, Fr. 45.–.

Eigenständigkeit und Experimentierlust: 15 zeitgenössische Schweizer Komponistinnen und Komponisten geben auf vier CDs Kostproben ihres Schaffens.

Das Organisationskomitee von "l'Art pour l'Aar": Pierre-André Bovey, Hans Eugen Frischknecht, Ursula Gut, Jean-Luc Darbellay, Markus Hofer.

 

Es ist eine feine kleine Sammlung mit kompositorischen Miniaturen von Schweizer Komponistinnen und Komponisten geworden. Wobei «klein» relativ zu verstehen ist: Die Sammlung auf vier CDs umfasst rund viereinhalb Stunden Neue Musik! Die Werke legen Zeugnis ab von einer unermüdlichen Neugier und Schaffenskraft. Und sie dokumentieren ein gesundes Mass an Unberechenbarkeit. Mit gleicher Sorgfalt und Originalität nehmen einige Tonsetzer traditionelle Stücke auf und zerpflücken sie (zum Beispiel Christian Henking in seiner Bearbeitung der «Kinderszenen» von Schumann).

Werden und Vergehen liegen nahe beieinander

Das Berndeutsche wird als Klangfarbe eingesetzt: So gerinnt der etwas genervte Tonfall einer Mutter, die zu ihrem Kind spricht, zum instrumentalen Klangreiz (in Guy Krnetas Text «Es war ein Kind, das wollte nie» mit der singenden Violinistin Noëlle Darbellay und Olivier Darbellay, Horn). Auch Eugen Frischknecht verwendet Konsonanten und Vokale wie Gewürze, wenn er «Eurokürzel» für acht Frauenstimmen mit phonetischen Einsprengseln spickt. Und manchmal bleibt von den Klängen nicht mehr als die geräuschhafte Asche übrig. Die Musik wird bis aufs Skelett ausgebeinelt. Die Emotion verrauscht als anonymes elektroakustisches Signal oder löst sich auf. Dann liegen Werden und Vergehen nahe beieinander.

Die vier Tonträger hört man sich am besten nicht am Stück, sondern in Stücken an. Nur so lässt sich hinter dem verspielten Experiment der gestaltende Wille begreifen (zum Beispiel in «BACH» für Schlagzeuger von Jean-Luc Darbellay). In jenen Mitschnitten, in denen man ahnt, dass auch die Art der Ausführung im Konzept mitgedacht wurde, da wünschte man sich, man hätte wie im Livekonzert zum Ton auch ein Bild.

Hervorragende Solisten

Die 30 Stücke sind nicht nach Komponisten, sondern thematisch oder nach der Besetzung geordnet; das Spektrum reicht von zwei Klavieren (hervorragend: Adrienne Soos und Ivo Haag), Orgel und Schlagzeug, Flötenquartett, acht Frauenstimmen, gemischtem Chor bis zum Trio mit Contratenor, Blockflöte und Elektronik. Sie dauern zwischen 2 und 15 Minuten. In Ergänzung zu den lebenden Schweizer Komponisten und Komponistinnen wurde auch je ein Vokalwerk von Willy Burkhard (1900–1955) und Albert Moeschinger (1897–1985) eingespielt; im 20-seitigen Begleitbooklet werden die Stücke zum Teil von ihren Komponisten kurz erläutert.

Neues zwischen E und U

Die Experimente in kleiner Besetzung dokumentieren ein professionelles künstlerisches Schaffen, das kompositorische, instrumentale, stimmliche, raumakustische, spieltechnische und elektronische Möglichkeiten ausreizt und immer wieder die Grenzen von E- und U-Musik weitet.

Dass diese Kompositionen, die im Rahmen der Reihe L’Art pour l’Aar und in Co-Produktion mit Radio SRF 2 aufgenommen wurden, nach der Uraufführung in der Schublade verschwinden, ist weniger als Indiz für ihre mangelnde Qualität zu lesen als für die Beschaffenheit eines Konzertbetriebs, in dem Neue Musik – wenn überhaupt – nur in Nischen stattfindet. Oder eben im Privaten dank CD.